Ein Leitfaden für Frauen, die sich erinnern wollen, was ihr Leib bereits weiß!
Die natürliche Geburt ist kein Ereignis, das organisiert oder technisch gesteuert werden muss. Sie ist ein lebendiger Ausdruck weiblicher Schöpfungskraft – ursprünglich, ungezähmt und weise. Der weibliche Leib trägt seit Urzeiten das Wissen in sich, wie Leben durch ihn hindurchkommt. Jede Phase der Geburt folgt einer inneren Ordnung, die nicht erdacht, sondern empfunden werden will.
Dieser Artikel lädt dich ein, dich an diese Ordnung zu erinnern – nicht durch Fakten, sondern durch das tiefe Verstehen deines eigenen Leibes. Was geschieht in dir? Wie arbeiten Gebärmutter, Atem, Becken, Gefühle, wenn du dich der Geburt hingibst? Und welche Vorstellungen dürfen gehen, um Platz zu machen für Vertrauen?
Die Phasen der Geburt aus Sicht des weiblichen Leibes
1. Die Latenz – das sanfte Öffnen
Noch bevor sich dein Bewusstsein ganz auf das Kommende ausrichten kann, hat dein Leib längst begonnen, sich vorzubereiten. In dieser ersten Phase beginnen sich die hormonellen Systeme neu zu ordnen. Oxytocin, das Hormon der Verbindung und der rhythmischen Kontraktion, wird vermehrt ausgeschüttet – in kleinen Wellen, die du als sanftes Ziehen im unteren Rücken oder Unterleib wahrnehmen kannst. Gleichzeitig steigen die Prostaglandine, die den Muttermund weich und dehnbar machen.
Dein Muttermund beginnt sich zu verflachen und leicht zu öffnen – oft bis etwa drei oder vier Zentimeter. Diese Veränderung geschieht schrittweise und fast unmerklich, getragen von einem langsamen, inneren Takt. Der Gebärmutterhals richtet sich auf, die Gebärmutter beginnt sich auf die Niederkunft vorzubereiten.
Du spürst vielleicht ein Bedürfnis, dich zurückzuziehen, dich einzukuscheln, den Alltag leiser werden zu lassen. Der Atem wird tiefer. Der Fokus geht nach innen. Dein vegetatives Nervensystem schaltet in einen Zustand der Regeneration. Ruhe ist in dieser Phase keine Pause – sie ist Teil der Geburt.
Diese Phase kann sich über viele Stunden oder sogar Tage erstrecken – besonders bei Erstgebärenden. Solange dein Leib in seinem eigenen Rhythmus bleiben darf, ist alles richtig.
2. Die Öffnung – das innere Schwingen
Wenn die Geburt in ihren aktiven Rhythmus wechselt, geschieht dies nicht abrupt, sondern wie ein Übergang in ein neues musikalisches Thema. Die Geburtswellen kommen nun in kürzeren Abständen, gleichmäßiger, kraftvoller. Der Muttermund öffnet sich Zentimeter um Zentimeter – nicht linear, sondern wellenartig, mal schnell, mal ruhend.
Im Zentrum steht die Gebärmutter, deren Muskulatur jetzt mit klarer Richtung arbeitet: die Längsmuskulatur zieht sich zusammen, während sich die Ringmuskulatur um den Muttermund lockert. Dieses Zusammenspiel bewirkt eine spiralförmige Öffnung. Der Leib koordiniert diese Bewegungen ohne dein Zutun, aber in Resonanz mit deinem Zustand: Sicherheit, Dunkelheit, Wärme und Intimität fördern die Ausschüttung von Oxytocin und Endorphinen – den natürlichen Begleitern dieses Prozesses.
Endorphine sind körpereigene Opioide, die Schmerzempfindung verringern, einen tranceähnlichen Zustand ermöglichen und den inneren Rückzug erleichtern. Je mehr du dich hingeben kannst, desto tiefer sinkst du in den Raum zwischen den Wellen. Das Nervensystem beginnt, sich auf diesen Rhythmus einzustellen. Der Parasympathikus wird aktiviert – der Zweig des Nervensystems, der für Ruhe, Vertrauen und Öffnung zuständig ist.
Bewegung – ob Gehen, Kreisen, Lehnen oder Wiegen – ist kein mechanischer Trick, sondern Ausdruck dieser Öffnung. Auch deine Stimme wird zum Kanal: Stöhnen, Summen, Tönen – all das löst Spannung, bringt Luft in den Beckenraum und hilft deinem Leib, im Fluss zu bleiben.
3. Die Schwelle – Übergang ins Unbekannte
Diese Phase ist der Wendepunkt. Der Muttermund ist beinahe vollständig geöffnet, die Geburtswellen erreichen ihren Höhepunkt in Intensität und Dichte. Zwischen den Wellen bleibt kaum noch Raum. Der Kopf des Kindes tritt tiefer in das Becken ein, berührt Nerven und Reflexpunkte, verändert die Dynamik.
Im Leib geschieht jetzt eine hormonelle Umstellung: die Adrenalinproduktion steigt kurzfristig leicht an, eine natürliche Reaktion, um Wachheit zu erzeugen und die Mobilisierung für das Kommende einzuleiten. Gleichzeitig bleiben Oxytocin und Endorphine hoch – ein Wechselspiel, das das System kurzzeitig aufrüttelt.
Viele Frauen erleben in dieser Phase emotionale Schwankungen: Zweifel, Rückzug, innere Anspannung. Das hat nichts mit Versagen zu tun. Es ist Ausdruck des Übergangs zwischen Öffnung und Niederkunft. Der Leib richtet sich neu aus. Manchmal zieht sich alles für einen Moment zurück – wie das Meer vor der Welle.
Die hormonellen Systeme, das Nervensystem, die Faszien im Becken und die Druckverhältnisse im Inneren synchronisieren sich neu. Was von außen chaotisch wirken mag, ist in Wahrheit eine tief koordinierte Vorbereitung.
Was jetzt hilft, ist nicht Kraft, sondern inneres Mitschwingen. Nicht Kontrolle, sondern Erdung. Der Atem als Anker. Die Stimme als Ventil.
4. Die Niederkunft – das neue Leben
Wenn der Muttermund vollständig geöffnet ist und der Kopf des Kindes tief genug sinkt, kommt es häufig zu einem spontanen, unwillkürlichen Pressdrang. Dieser wird ausgelöst durch den Ferguson-Reflex: Der Druck des kindlichen Kopfes auf bestimmte Rezeptoren in der Scheidenwand führt über das Nervensystem zu einer plötzlichen Erhöhung von Oxytocin – was die Gebärmutter zu kraftvollen, ausstoßenden Wellen anregt.
Die Bauchmuskulatur wird mit einbezogen, doch nicht durch Willenskraft, sondern durch Reflex. Wenn du dich diesem Impuls überlässt, arbeitet dein Leib optimal. Bewusstes „Pressen“ ist nur dann sinnvoll, wenn es deinem inneren Impuls entspricht. Sonst stört es den Rhythmus und erschöpft unnötig.
Der Damm wird weich durch die Hormone und durch das Gewebe, das sich über Wochen vorbereitet hat. Deine Yoni öffnet sich noch weiter – nicht wie ein Kanal, sondern wie ein weiter Raum. Alles in dir ist auf Durchtritt eingestellt.
Wichtig ist die Pause zwischen den Wellen: Dort geschieht Integration. Dort fließt Sauerstoff. Dort sinkt dein System zurück in sich, um bereit zu sein für die nächste Welle.
Es ist kein Machen. Es ist ein Kommenlassen. Es ist eine Öffnung auf tiefster Ebene – körperlich, seelisch, geistig.
5. Das Nachschwingen – der Kreis schließt sich
Nachdem das Kind geboren ist, folgt der letzte natürliche Akt: die Lösung und Geburt der Plazenta. Auch sie geschieht in Resonanz mit deinem Zustand. Der Hautkontakt mit dem Kind, das erste Stillen, das Halten und Riechen fördern erneut die Oxytocin-Ausschüttung, was die Gebärmutter sanft weiterarbeiten lässt.
Die Plazenta löst sich von der Gebärmutterwand und wird durch leichte, kürzere Wellen ausgestoßen. Der Leib reguliert gleichzeitig die Blutung über die Kontraktionen. Kein Zug, kein Eingriff ist notwendig, wenn dieser Rhythmus respektiert wird.
Das Zittern, Weinen, Schwitzen oder Schweigen, das danach oft folgt, sind keine Reaktionen auf Anstrengung, sondern Ausdruck des Nachklangs. Der Leib reguliert sich, lässt los, ordnet sich neu. Es ist ein Moment, der nicht gestört werden sollte. Er gehört zur Geburt. Während dieser Phase sollte die Nabelschnur in Takt bleiben, bis die Plazenta vollständig auspulsiert ist. So bekommt das Neugeborene weiteres Blut, Sauerstoffe und Nährstoffe, die es für einen gesunden Start braucht.
Fazit
Geburt ist eine zutiefst kraftvoller, natürlicher Prozess des Lebens. Sie ist nichts, was du erst lernen oder leisten musst – sie liegt bereits in dir, als tiefes Wissen, als rhythmische Erinnerung deines Leibes. Alles, was du brauchst, ist bereits da.
Geburt ist kein Kraftakt, sondern ein Weg der Rückverbindung. Wenn du dich dem Prozess hingibst, dich nicht gegen die Wellen stemmst, sondern mit ihnen gehst, wirst du getragen – von der Weisheit deines Leibes und der Kraft deiner inneren Führung.
Du musst nicht kämpfen, nicht stark sein im herkömmlichen Sinn. Du darfst weich werden, vertrauen, dich öffnen. In jedem Moment. Hingegen den Bildern und „Szenen“, die oft von Geburten gezeigt werden, braucht der Geburtsprozess keine Anstrengung, sondern Raum, Sicherheit, Loslassen. In dieser Haltung beginnt sie, sich selbst zu entfalten.
Dein Leib weiß, wie gebären funktioniert. Leider wird in unserer heutigen Zeit oftmals der Raum dafür nicht gegeben. Das heißt, dass du den Raum für dich selbst schaffen musst!
Jede Phase, jede Welle, jeder Übergang hat einen Sinn – nicht technisch, sondern lebendig. Geburt geschieht nicht im Kopf, sondern im tiefen Einklang von Leib, Gefühl und Atem.
Wenn du dich nicht einmischst – und auch nicht zulässt, dass sich andere einmischen! -, macht dein Leib in Zusammenspiel mit deinem Kind alles von ganz alleine. Eine natürliche Geburt ist ein Geschenk für dein Kind. Und an dich. Die natürliche Geburt ist dafür gemacht, damit dein Kind den bestmöglichen Start in diese Welt bekommen kann.