Der Kaiserschnitt ist ein medizinischer Eingriff, der in bestimmten Situationen Leben retten kann. Gleichzeitig hat sich seine Anwendung in westlichen Ländern – auch ohne akute medizinische Indikation – zu einer häufigen Standardmaßnahme entwickelt. In Deutschland liegt die Kaiserschnittrate bei über 35 % – weit über dem, was international empfohlen wird (WHO, 2015; Destatis, 2024).
Diese Entwicklung wirft Fragen auf: Wie kommt es zu dieser Häufung? Welche Rolle spielen Klinikprotokolle, Haftungsrecht, ökonomische Interessen und strukturelle Mängel im System? Und welche Folgen hat das für Mutter und Kind? Viele Frauenärztinnen raten den Kaiserschnitt direkt an, ohne eine natürliche Geburt in Betracht zu ziehen. Besonders bei Mehrlingsschwangerschaften ist dies der Fall – aber, ist hier ein Kaiserschnitt wirklich notwendig oder sicherer?
Wie hoch sollte die Kaiserschnittrate sein?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass eine Kaiserschnittrate von 10–15 % vollkommen ausreicht, um die Gesundheit von Müttern und Kindern weltweit zu sichern (WHO, 2015). Raten, die darüber hinausgehen, zeigen in der Datenlage keine zusätzlichen gesundheitlichen Vorteile, sondern weisen vielmehr auf Überversorgung und Systemprobleme hin.
In Norwegen, wo Geburten mehrheitlich von Hebammen geleitet ablaufen und der Fokus auf einer physiologischen Geburtsbegleitung liegt, beträgt die Kaiserschnittrate konstant rund 17 %. Deutschland hingegen verzeichnet aktuell (Stand 2024) eine Rate von 35 % – beinahe doppelt so hoch (SMC, 2024; Destatis, 2024).
Interventionen und ihre Folgen
Dr. Ute Taschner beschreibt eindrücklich, wie bereits scheinbar „kleine“ medizinische Maßnahmen – wie routinemäßiges CTG, liegende Geburtspositionen, künstliche Wehenanregung oder überhastete Einleitungen – eine sogenannte Interventionskaskade auslösen können, die am Ende häufig im Kaiserschnitt endet (Taschner & Scheck, 2012).
Auch andere Studien zeigen: Je höher der Grad der medizinischen „Maßnahemn“, desto größer das Risiko für einen operativen Geburtsverlauf (Declerq et al., 2006). Viele dieser Eingriffe erfolgen nicht aus medizinischer Notwendigkeit, sondern aufgrund von Zeitdruck, Protokollvorgaben, Angst oder juristischer Vorsicht.
Rechtlicher Druck und strukturelle Ängste
Das haftungsrechtliche Umfeld in Deutschland führt dazu, dass viele Ärzt:innen aus juristischer Absicherung heraus schneller zum Kaiserschnitt tendieren. Wird eine vaginale Geburt trotz Risiken empfohlen und es kommt zu einem Schadensfall, kann das massive berufliche und wirtschaftliche Konsequenzen haben (Hogberg et al., 2007).
Diese Angst vor Fehlern, gepaart mit unklaren juristischen Verantwortlichkeiten und einer zunehmenden Tendenz zur Absicherung durch Protokolltreue, hat dazu geführt, dass der Kaiserschnitt in vielen Kliniken als der „sicherere Weg“ angesehen wird – unabhängig von der tatsächlichen medizinischen Indikation.
Protokolle und fehlende Wahlfreiheit
Viele Geburtsstationen folgen standardisierten Abläufen, etwa: Muttermundöffnung soll pro Stunde um einen Zentimeter voranschreiten. Bleibt dieser Fortschritt aus, wird von „Geburtsstillstand“ gesprochen – und der Kaiserschnitt eingeleitet (Sandall et al., 2016).
Diese Protokolle lassen keinen Raum für individuelle Unterschiede und ignorieren die natürliche Vielfalt physiologischer Geburten. Außer acht gelassen wird, dass er Geburtsprozess ein natürlicher und unplanbarer Prozess ist. Viele Frauen berichten, dass sie sich unter diesen Umständen nicht mehr selbstbestimmt entscheiden konnten (Beck & Watson, 2008).
Folgen für Mutter und Kind
Ein Kaiserschnitt ist kein harmloser Routineeingriff. Für die Mutter bedeutet er ein erhöhtes Risiko für Infektionen, Thrombosen, Wochenbettdepressionen und Komplikationen in Folgegeburten. Für das Kind birgt er unter anderem ein höheres Risiko für Anpassungsstörungen, Atemprobleme und langfristige Auswirkungen auf das Mikrobiom sowie das Immunsystem (Hyde et al., 2012; Dominguez-Bello et al., 2010).
Zudem fehlen beim Kaiserschnitt zentrale hormonelle Prozesse wie die natürliche Ausschüttung von Oxytocin, Beta-Endorphinen und anderen neurochemischen Bindungshormonen – mit möglichen Folgen für das Bonding zwischen Mutter und Kind (Buckley, 2015).
Mehrlingsgeburten: Kaiserschnitt aus Routine?
Besonders bei Mehrlingsschwangerschaften wird der Kaiserschnitt heute fast schon automatisch eingeplant. Viele Kliniken führen bei Zwillingen, Drillingen oder höhergradigen Mehrlingen routinemäßig eine Schnittentbindung durch – oft unabhängig von der konkreten Geburtslage oder dem Gesundheitszustand der Kinder und der Mutter.
Dabei zeigt die aktuelle Datenlage, dass ein Kaiserschnitt bei Zwillingen nicht grundsätzlich medizinisch notwendig ist. Internationale Studien belegen, dass bei einer günstigen Ausgangslage – etwa wenn das erste Kind in Schädellage liegt – eine vaginale Zwillingsgeburt ebenso sicher ist wie ein Kaiserschnitt (Grobman et al., 2013).
Auch die deutsche S3-Leitlinie zur Geburt bei Mehrlingen betont: Eine vaginale Geburt ist bei Zwillingen nicht nur möglich, sondern bei entsprechender Vorbereitung und Erfahrung des geburtshilflichen Teams sogar vorteilhaft – sowohl für die Mutter (weniger Komplikationen, kürzere Erholungszeit) als auch für die Kinder (weniger Atemprobleme, bessere Mikrobiombesiedlung) (DGGG, 2020).
Warum also wird der Kaiserschnitt dennoch so häufig gewählt? Neben haftungsrechtlichen Ängsten spielt hier der Mangel an geburtshilflicher Erfahrung mit vaginalen Mehrlingsgeburten eine zentrale Rolle. Viele Geburtshelfer:innen sind mit dem komplexeren Verlauf dieser Geburten nicht mehr ausreichend vertraut – und entscheiden sich vorsorglich für den operativen Weg.
Doch auch hier gilt: Frauen sollten umfassend informiert und in die Entscheidung einbezogen werden – und nicht allein durch Routinedenken in eine operative Geburt geführt werden. Wie bei jeder Geburt zählt die individuelle Abwägung – nicht die Statistik.
Aktuelle Daten aus Deutschland (2024–2025)
- Kaiserschnittrate: 35 % aller Geburten (Destatis, 2024)
- Künstliche Einleitungen: ca. 21–23 % (Babelli, 2025)
- Medikamentöse Wehenanregung (Oxytocin etc.): ca. 26 % aller Geburten (Krause et al., 2023)
- Vaginale Geburt nach Kaiserschnitt (VBAC): nur ca. 15 % versuchen eine natürliche Folgegeburt, obwohl die Erfolgsquote bei über 80 % liegt (Taschner & Scheck, 2012; Sandall et al., 2016)
Diese Zahlen spiegeln ein System wider, das sich von der natürlichen Geburt zunehmend entfernt.
Fazit: Zwischen Angst, Systemzwängen und echter Wahlfreiheit
Der Kaiserschnitt ist ein wertvolles Instrument der modernen Geburtshilfe – wenn er medizinisch notwendig ist! Doch derzeit erfolgt ein Großteil der Eingriffe aufgrund struktureller, rechtlicher und ökonomischer Faktoren, nicht primär im Sinne der physiologischen Geburt oder des Kindeswohls.
Ein Systemwandel ist dringend notwendig:
- Klarere juristische Richtlinien, die auch vaginale Geburten absichern
- Interventionsfreie Räume unter Leitung erfahrener Hebammen
- Zeit, Vertrauen und ganzheitliche Begleitung für werdende Mütter
- Stärkung der informierten Wahlfreiheit
- eine Geburtsbegleitung durch erfahrene Frauen, die bereits selbst Kinder zur Welt gebracht haben
Frauen müssen wieder selbst entscheiden dürfen – auf Basis ehrlicher Aufklärung und jenseits eines Systems, das durch Angst und Effizienz geprägt ist.
Wenn du dir eine natürliche Geburt nach einem Kaiserschnitt wünschst oder du ganz einfach einen Kaiserschnitt vermeiden möchtest, lass dich von mir begleiten. Selbst habe ich eine natürliche Zwillingsgeburt nach mehreren Kaiserschnitten erlebt und habe gelernt, welches Wissen und welche Faktoren wichtig zu beachten sind, damit eine natürliche, entspannte Geburt funktionieren kann.
Literaturverzeichnis
Babelli, A. (2025). Geburtseinleitung in der Gynäkologie – Indikationen und Trends.
Beck, C. T., & Watson, S. (2008). Impact of birth trauma on maternal mental health. MCN American Journal of Maternal Child Nursing.
Buckley, S. J. (2015). Hormonal physiology of childbearing. Childbirth Connection.
Declerq, E. R. et al. (2006). Listening to Mothers II. Childbirth Connection.
Dominguez-Bello, M. G. et al. (2010). Delivery mode shapes the acquisition and structure of the microbiota. PNAS.
Grobman, W. A. et al. (2013). Planned cesarean or vaginal delivery for twin pregnancies. NEJM.
Hogberg, U. et al. (2007). Legal aspects and caesarean rates. European Journal of Obstetrics & Gynecology.
Hyde, M. J. et al. (2012). Health implications of birth by Caesarean section. Biological Reviews.
Krause, F. et al. (2023). Geburtseinleitungen in deutschen Kliniken – eine Querschnittsanalyse. DGGG.
Sandall, J. et al. (2016). Effects of caesarean section on the health of women and children. Lancet.
Science Media Center (SMC). (2024). Geburtsmedizin international im Vergleich.
Statistisches Bundesamt (Destatis). (2024). Geburten in Deutschland 2023.
Taschner, U., & Scheck, K. (2012). Meine Wunschgeburt. Edition Riedenburg.
WHO. (2015). WHO Statement on Caesarean Section Rates.
DGGG. (2020). S3-Leitlinie: Die Geburt bei Mehrlingen.