Anatomie, Rückbildung und was Frauen wirklich wissen sollten
Viele Frauen stellen sich – oft im Stillen – die Frage: „Wird meine Vagina nach der Geburt wieder wie vorher?“ Die Unsicherheit ist groß, denn über diesen Teil des weiblichen Leibs wird selten offen gesprochen. Umso wichtiger ist es, vorab Klarheit zu schaffen.
Zunächst: Die Vagina ist kein „statischer Schlauch“, sondern ein hochdifferenziertes Zusammenspiel aus glatter Muskulatur, Bindegewebe, elastischen Fasern, Schleimhaut und sensiblen Nervenverbindungen (Pendergrass et al., 1996). Sie ist nicht nur ein Geburtskanal – sie ist ein anpassungsfähiges Organ mit Erinnerung, Spannkraft und Regenerationsfähigkeit. Und wie jeder andere Muskel im Leib kann auch die vaginale Muskulatur gezielt trainiert, gestärkt und bewusst wahrgenommen werden (Kegel, 1948).
Geburt ist ein intensiver Vorgang. Ja, das Gewebe wird gedehnt. Doch genau dafür ist es gemacht. Was oft fehlt, ist nicht das Potenzial zur Rückbildung – sondern die Zeit, die Begleitung und das Wissen, wie Frauen sich selbst in dieser Phase unterstützen können.
Die Anpassungsfähigkeit der Vagina
Während einer vaginalen Geburt dehnt sich das vaginale Gewebe massiv – in manchen Fällen bis zum Zehnfachen seiner normalen Weite. Doch direkt im Anschluss beginnt der natürliche Rückbildungsprozess: Die Vagina zieht sich zusammen, die Schleimhaut regeneriert sich, überschüssige Flüssigkeit wird abgebaut. Dieser Prozess ist individuell unterschiedlich, beginnt aber bereits in der ersten Stunde nach der Geburt (Heller, 2015).
Die vollständige Rückbildung dauert Wochen bis Monate – je nach Konstitution, Geburtserfahrung, hormoneller Lage, Gesundheitszustand und Begleitung. In der Regel ist nach etwa sechs Monaten wieder ein stabiles Gefühl vorhanden – oft schon deutlich früher.
Der Beckenboden: Schlüssel zur Spannkraft
Ein wesentlicher Faktor für das Empfinden von „Weite“ oder „Enge“ ist nicht die Vagina selbst, sondern der umgebende Beckenboden. Die Vagina kannst du dir vorstellen wie einen Raum, der sich flexibel weiten kann. Dieser muskuläre Schichtkomplex trägt nicht nur die Beckenorgane, sondern beeinflusst auch, wie sich die Vagina anfühlt – beim Gehen, beim Sex, beim Niesen, beim Atmen.
Während Schwangerschaft und Geburt wird diese Muskulatur stark belastet. Eine natürliche Erschlaffung ist normal – aber keine Endstation. Mithilfe gezielter Rückbildungsübungen und Beckenbodentraining – wie sie u. a. auf den Erkenntnissen von Arnold Kegel basieren – kann die Spannung wieder aufgebaut und sogar verbessert werden (Kegel, 1948; Bø et al., 2015). Und, für diese Übungen brauchst du nur ca. 15-20 Minuten pro Tag 🙂
Was, wenn es sich nicht mehr „wie vorher“ anfühlt?
Viele Frauen berichten nach der Geburt von einem veränderten Empfinden – beim Sex oder generell im Alltag. Wichtig ist zu wissen: Das heißt nicht, dass „etwas kaputt“ ist. Der Leib verändert sich – aber er verliert nicht an Wert oder Funktion.
Ein mögliches Gefühl von „Weite“ kann verschiedene Ursachen haben:
- eine noch nicht abgeschlossene Rückbildung,
- verspannte oder überdehnte Beckenbodenanteile,
- eine sehr schwache Bauchmuskulatur
- Narben oder Geburtsverletzungen (z. B. Dammrisse, Labienrisse),
- emotionale Blockaden oder Schmerzen nach einer traumatischer Geburtserfahrung.
Was hilft, ist keine Scham, sondern Aufklärung, Rückbildung, sanfte Leibarbeit und bewusste Berührung. In einigen Fällen kann auch eine vaginale Physiotherapie, Osteopathie oder Sexualberatung sinnvoll sein.
Selbstwahrnehmung, Sexualität und Vertrauen
Das Empfinden rund um die Vagina nach der Geburt ist nicht nur eine Frage der Muskeln – sondern auch der Selbstwahrnehmung. Viele Frauen fühlen sich fremd im eigenen Leib, haben das Gefühl, sich „verloren“ oder verändert zu haben. Hinzu kommen gesellschaftliche Bilder von „straff“ und „perfekt“, die mit dem gelebten Erleben nichts zu tun haben.
Hier gilt: Was sich verändert, kann neu entdeckt werden und kann mit etwas Disziplin und Motivation wieder „in Form“ gebracht werden. Die Vagina ist kein statisches Organ, sondern ein lebendiger Raum von Sinnlichkeit, Kraft und Intelligenz. Es ist ein absoluter Mythos, dass dein Leib und vor allem deine Vagina nach einer natürlichen Geburt ruiniert ist – wie du hoffentlich durch diesen Artikel etwas besser versanden hast.
Die Vagina kann – und will – sich erholen!
Deine Vagina und dein Beckenboden besitzen nach einer natürlichen Geburt eine erstaunliche Fähigkeit zur vollständigen Regeneration. Wie alle Muskeln und Gewebe deines Leibes können sie zu ihrem ursprünglichen Zustand zurückkehren – kraftvoll, elastisch und funktional. Mit einer gesunden Lebensweise, die gezieltes Beckenbodentraining, eine ausgewogene, nährstoffreiche Ernährung und achtsame Selbstfürsorge umfasst, kannst du deinem Leib nicht nur helfen, sich schnell und effektiv zu erholen, sondern auch von vornherein möglichen Problemen vorbeugen.
Durch liebevolle Pflege und die richtigen Maßnahmen stärkst du nicht nur die körperliche Kraft deiner Vagina und deines Beckenbodens, sondern gewinnst auch ein neues, tiefes Vertrauen in deinen Leib. Dein Leib ist bereit, sich zu erneuern – unterstütze ihn dabei und freue dich über seine beeindruckende Stärke!
Literaturverzeichnis
- Bø, Kari; Hilde, Gunvor; Stær-Jensen, Jorunn (2015): Postpartum recovery of the pelvic floor muscles: training strategies and implications. British Journal of Sports Medicine, 49(6), 369–376.
- Heller, Angela (2015): Nach der Geburt – Heilung, Rückbildung und Neufindung. Freiburg: Kreuz Verlag.
- Kegel, Arnold H. (1948): The Nonsurgical Treatment of Genital Relaxation by the Progressive Resistance Exercise: The Functional Restoration of the Perineal Muscles. Annals of Western Medicine and Surgery, 2(11), 213–216.
- Pendergrass, P. B.; Reeves, C. A.; Belovicz, M. W.; Molter, D. J.; White, J. H. (1996): The shape and dimensions of the human vagina as seen in three-dimensional vinyl polysiloxane casts. American Journal of Obstetrics and Gynecology, 175(2), 320–324.